THEATER | «Die Geizige oder die grosse Vacherintorte» – ein Theaterstück, das überzeugt
Lustig – und ganz schön bitterbös
Sich als 70-jährige Witwe neu verlieben–kein Problem. Hat der Neue erst 40 Jahre auf dem Buckel–kann vorkommen. Angelt sich die Tochter der Witwe aber gleichzeitig genau den gleichen Lover wie ihre Mama und entpuppt sich dieser schlussendlich als Hochstapler–ja dann fliesst nach dem Champagner irgendwann auch Blut.
«Die Geizige oder die grosse Vacherintorte» nennt sich das Theaterstück, das da mit Champagnerschlürfen seinen Auftakt nimmt und mit einem blutverschmierten Küchenmesser seinem Ende zugeht. Das Stück berichtet vom Leben dreier Frauen–Mutter und zwei erwachsene Töchter–deren Leben in unterschiedlichen Bahnen verläuft. Und auch zwei Enkeltöchter sind mit von der Partie.
«Euch solls einmal besser gehen»
Bitterbös ist dieses Stück «frei nach Molière», welches das Publikum im Visper La Poste vergangene Woche zwei Mal vorgesetzt bekam. Diese Woche kommt es noch zwei Mal auf die La-Poste-Bühne.
Der Humor kommt in «Die Geizige…» alles andere als zu kurz, im Gegenteil. Zum einen der frechen Sprüche wegen, zum andern dank Mimik und Gestik, mit der die fünf Schauspielerinnen immer wieder für Lacher sorgen. Ich jedenfalls habe am Freitagabend bei der Vorstellung von «Die Geizige…» so viel gelacht wie schon lange nicht mehr. Es dürfte anderen im Publikum ähnlich ergangen sein. «Aber eigentlich ist das Ganze himmeltraurig», fand eine Zuschauerin nach der Vorstellung. Was sicherlich stimmt. Denn dieses Theaterstück zeigt auf, zu welcher Ichbezogenheit Menschen fähig sind. Nicht nur, aber vor allem in jenen Momenten, in denen Geld das Zepter übernimmt.
Die Beerdigung wäre schon geregelt…
Wovon das Stück erzählt: Elfriede Ghezzi Arnold (Suly Röthlisberger) will ein neues Leben in Angriff nehmen, die Witwe setzt dabei voll auf die Karte Genuss und Abenteuer. Ihre erwachsenen Töchter Camille (Barbara Terpoorten) und Vero (Vivien Bullert) hingegen müssen ihr verbocktes Leben zurechtbiegen; sie basteln beduselt an ihren Fassaden herum, bis diese endgültig zerbröckeln. Und dann sind da noch die Enkeltöchter Hanna (Katharine Müller) und Fanny (Sanne Gruber), die dem Treiben ihrer Mütter und ihrer Grossmutter zugucken müssen.
Warum es zum Stelldichein von Mutter, Töchtern und Enkeltöchtern kommt–der 70. Geburtstag von Elfriede ist schuld daran. Die rüstige Witwe nutzt die Feierstunde in ihrem Garten für Bekanntmachungen der speziellen Art–die Begeisterung der Töchter schmilzt darob wie Schnee im Frühling.
Ihre Beerdigung hat Elfriede bereits in allen Details geregelt–auch wenn ihr die Lebenslust eigentlich jeden Gedanken ans Ableben verbietet. Elfriedes Beerdigungswünsche sind zwar ein wenig eigenartig, doch Camille und Vero finden sich damit schnell ab. Schliesslich folgt ja einer Beerdigung zumeist ein Testament–bei Mama Elfriede müsste ja so einiges drinliegen. Also erst mal Hände reiben und aufs Beste hoffen. Doch dann kommt halt alles doch nicht so, wie es kommen sollte.
…doch der Rest sorgt für Streit am Laufmeter
Weil Kinder ihren Eltern nun mal auch Kosten verursachen, präsentiert Mama Elfriede ihren Töchtern die Rechnung. Veros und Camilles Augen werden bei jeder Zahl grösser und grösser, ihre Griffe zur Champagnerflasche mehren sich im selben Rhythmus. Denn Wohnen, Essen und Wäschemachen sowie Krankenkasse und grossmütterliche Kinderbetreuung vermindern ihr Erbe. Als Elfriede dann noch von ihrem neuen Mann im Leben berichtet–sie hat ihn erst noch mit allen Vollmachten ausgestattet–ist «der Zapfen endgültig ab» und die beiden Töchter betrunken. Was die ganze Erbstreiterei erst so richtig in Schwung und die Töchter vollends zum Durchdrehen bringt. Bis plötzlich Familienbande ihre Stärke zeigen…
Nicht nur die Profis überzeugen mit ihrem Spiel
Wer schwarzen Humor liebt, auf freche Dialoge steht und temporeiches Theater zu schätzen weiss, kommt bei «Die Geizige…» voll auf seine Rechnung. Herrlich zu verfolgen ist, wie Barbara Terpoorten und Vivien Bullert die hysterisch-verrückten Töchter Camille und Vero abgeben, wie glaubwürdig sie sich am Champagner und ihrem Schicksal berauschen. Resolut und trotzdem warmherzig, mit beiden Beinen auf dem Boden und dennoch keiner Träumerei abhold–, so kommt jene Elfriede daher, welche Suly Röthlisberger verkörpert. Auch sie überzeugt, nicht bloss ihrer lang anhaltenden und ansteckenden Lachsalve wegen. Ein besonderes Kompliment verdienen sich sicherlich Sanne Gruber und Katharine Müller: Souverän agieren sie als Fanny und Hanna auf der Bühne, die beiden Kollegiumsschülerinnen fühlen sich unter den Profis sichtlich wohl.
Was diesem Spiel guttut: Das Stück wartet mit einem einzigen Bühnenbild auf, einige wenige Szenen werden auf eine Leinwand eingespielt. So lassen sich Tempo und Dynamik hoch halten, dies erlaubt es der Crew, ihre Spiellust so richtig auszuleben. Was heisst, dass nicht nur diese fünf Schauspielerinnen, sondern auch Regisseur Sigi Terpoorten gute Arbeit leistete.
Lothar Berchtold
18. April 2016