terpoorten regie


Die Schafswaldklinik - 2018

Theater Leuk

Schauspieler*innen
Anouk Arnold, Gabriele Barbiero, Chiara Chiabotti, Fabian Franzen, Sarah Gischig, Kim Imboden, Lisa Rovina, Anna Russi, Noémie Zumstein,
Stella Ackermann, Valentina Henz, Kaja Holzer, Michelle Mattig, Greta Summann, Chiara Supersaxo, Urkhan

Regie
Barbara und Siegfried Terpoorten

Regieassistentin
Simea Manz

Produktionsleitung
Michel Schmid

Fotos
Ingemar Imboden


Canal9
RRO Interview
Barbara Terpoorten
Mood


Kritiken



Mit «Schafswaldklinik» bringt das Theater Leuk ein äusserst delikates Thema auf die Bühne: den Zwist um Wolf und Schaf. Ein grosses Wagnis, das sich ausgezahlt hat.

Das Thema Wolf ist im Wallis seit Jahren hochaktuell: Die Fronten sind jedoch derart verhärtet und der Ton derart emotionsgeladen, dass eine Debatte nicht möglich ist. Viele Walliser zieren sich gar, überhaupt darüber zu sprechen – zu schnell scheint etwas Falsches gesagt. Genau in solchen Fällen bietet die Theaterkunst eine perfekte Plattform, um das omnipräsente Thema ins Rampenlicht zu rücken. Das Theater Leuk hat dieses Wagnis nun unter der Regie von Barbara Terpoorten-Maurer und ihrem Mann Sigfried Terpoorten in Angriff genommen und dabei, wie die Uraufführung vom Freitagabend zeigte, sehr vieles richtig gemacht.

Gepeinigte Schäfer

Im Zentrum der Handlung stehen Andreas, Hans, Fritz, Max, René und Schampi. Die sechs Schäfer stehen kurz vor dem Burn-out. Die Gründe dafür erfahren die rund 270 Zuschauer in einer kurzweiligen Szenenfolge gleich zu Beginn. Max entdeckt immer wieder Löcher in seinen Weidezäunen, die es zu reparieren gilt, damit der Wolf nicht zu leicht an seine Schafe gelangt. Schampi muss seinen Schäferkollegen regelmässig beim Bewältigen der Formularflut, mit denen Landwirte heutzutage von den Behörden gepiesackt werden, unter die Arme greifen. Dazu plagt ihn ein Geheimnis: Denn als Grüner hat er eigentlich gar nichts gegen den Wolf, traut sich aber nicht, dies gegenüber seinen Kollegen zu offenbaren. Auch Andreas und Hans wächst die Arbeit ihres Hobbys als Nebenerwerbsbauern über den Kopf. Zudem liegt Hans ständig seine Ehefrau im Ohr – er solle endlich die ganze Schafwolle im Stall verkaufen – und treibt ihn zur Weissglut: Wozu der Aufwand, die Wolle zu verhökern, wenn er dafür nicht einmal genug Geld für ein Zündholz erhalte, mit dem er den Haufen verbrennen könne, empört er sich.

Die Szenen strotzen geradezu vor humorvollen Wortwechseln, die von der ersten Minute an für Lacher sorgen. Die zweite Szene spielt gar mitten in den Zuschauerrängen, womit auch die physische Distanz zum Publikum früh überbrückt wurde.

Kein Schwarz-Weiss-Stück

Dass die Schäfer bei all dem Gejammer nicht wie grimmige Karikaturen ihrer Zunft daherkommen, liegt einerseits am authentischen Spiel der Laienschauspieler. Und andererseits am Drehbuch von Autor Lothar Berchtold, der die Figuren nicht als Schablonen, sondern als sympathische Leute gezeichnet hat – weder schwarz noch weiss, sondern mit vielen Grautönen dazwischen.

Ein weiterer Punkt, warum «Schafswaldklinik» nicht über seine ernste Thematik stolpert: Es werden ausnahmslos alle veralbert, egal ob Grüne, Schäfer oder Medien.

Mit dem Auftritt der reichen Russin Olga, die in der Region nach einer Möglichkeit zur Geldwäsche sucht, nimmt die Komödie dann so richtig Fahrt auf. Mit starkem Ostblock-Akzent ködert sie Schampi mit der Aussicht auf generöse Zuschüsse für die Parteikasse der Grünen. Setzt ihm gar den Floh einer Karrierelaufbahn bis hin zum Bundesrat ins Ohr, wenn er seine Schäferkollegen davon überzeugen kann, sich wegen eines Burn-outs in die «Schafswaldklinik» einweisen zu lassen, damit sie dort ihr Geld waschen kann. In einer surreal anmutenden Szene mit umherlaufenden Bäumen treten die sechs Schäfer in die geheime Klinik über und gelten in der Folge als vermisst.

Über sich selbst lachen

Als Klinikkulisse funktioniert das Schulhaus deutlich besser, als man es erwarten könnte: Dem Einsatz von Schafwolle, die das gesamte Erdgeschoss einhüllt, und Scheinwerferlicht sei Dank. Das Areal erlaubt mit seinen verschiedenen Ebenen zudem besonders schnelle Szenenwechsel, was dem kurzweiligen Stück zusätzlich in die Karten spielt.

Bloss ein Strumpf mit drei Wolfshaaren weist auf den Verbleib der Schäfer hin. Die Polizei tappt im Dunkeln. Die Ehefrauen verzweifeln. Die Wallis-Korrespondentin des Schweizer Fernsehens wittert eine Karrierechance und berichtet euphorisch. Währenddessen lassen es sich die Schäfer in der Klinik gut gehen. Geniessen Pediküre und Massage und schlüpfen als Teil ihrer Therapie für ihr wolfsbedingtes Burn-out selbst in die Rolle des Isegrims; fühlen sich von Gewehrläufen bedroht und heulen im Rudel. Bei ihren Ehefrauen regen sich schliesslich erste Zweifel, ob ihre Männer sie nicht einfach im Stich gelassen haben. Inzwischen an das männerlose Daheim gewöhnt, treten sie deshalb mit einer deutlichen Botschaft im Fernsehen auf: «Geht hin, wo der Pfeffer wächst! Wir brauchen euch nicht!» Die Herren sind darob ganz verzweifelt. Was nun? Bevor sie eine Antwort haben, erfolgt der Auftritt von Doktor Gigot, die in der Klinik eine Brandrede über die «Grüne Bestie» von der «Kanzel» schmettert. Ein kurzer Ausflug ins Fahrwasser der Parodie. Gigot verspottet die Grünen – und indirekt auch die Schäfer. Dann scheint ihr hasserfülltes Herz zu explodieren – ein Herzinfarkt. Die Leiche muss weg. Olga setzt sich ab. Und die Schäfer flüchten zurück zu ihren Frauen: Die Probleme sind geblieben. Doch neu ist eine gewisse Lockerheit spürbar. Ganz als ob nur glücklich sein kann, wer auch mal über sich selbst zu lachen vermag.

Martin Schmidt 30. Juli 2018